„Spuren im Sand“
von Margaret Fishback Powers
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war,
blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
daß an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, daß in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?“
Da antwortete er:
„Mein liebes Kind, ich liebe dich
und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“
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"Stufen"
von Hermann Hesse
Wie jede Blume welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jede Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.
Wir sollten heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen.
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise,
uns traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen!
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
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Antrittsrede 1994
von Nelson Mandela
"Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir der Sache nicht gewachsen sind.
Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich mächtig sind.
Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.
Wir fragen uns: "Wer bin ich den eigentlich,
dass ich leuchtend, hinreißend, begnadet und phantasisch sein darf?"
Wer bist Du denn, dass Du das nicht sein darfst?
Du bist ein Kind Gottes.
Wenn Du Dich klein machst, dient das nicht der Welt.
Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn Du Dich einkringelst,
damit andere um Dich herum sich nicht verunsichert fühlen.
Du wurdest geboren, um die Ehre Gottes zu verwirklichen, die in uns ist.
Sie ist nicht nur in einigen von uns - sie ist in jedem Menschen.
Und wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst den anderen
Menschen die Erlaubnis dasselbe zu tun.
Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart
ohne unser Zutun andere befreien."
Ein Fluß
Ein Fluß ist voller Perlen
die allesamt auf Erden
den großen Strom erst bilden.
Und Tage sind wir Perlen
wenn uns geschenkt sie werden
das eig´ne Dasein schaffen.
So sei niemals betrübt
wenn Zeit uns übersiegt
und wir stets vorwärts treiben.
Ist doch des Lebens Ruf
durch jede Perle Lauf
den großen Strom zu finden.