„Spuren im Sand“

 

von Margaret Fishback Powers

 

 

Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten,
Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben.
Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand,
meine eigene und die meines Herrn.

Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war,
blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte,
daß an vielen Stellen meines Lebensweges
nur eine Spur zu sehen war.
Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.

Besorgt fragte ich den Herrn:
„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen,
da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein.
Aber jetzt entdecke ich, daß in den schwersten Zeiten
meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist.
Warum hast du mich allein gelassen,
als ich dich am meisten brauchte?“

Da antwortete er:
„Mein liebes Kind, ich liebe dich
und werde dich nie allein lassen,
erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten.
Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast,
da habe ich dich getragen.“

 


______________________________

 



 

"Stufen"

 

von Hermann Hesse

 

 

Wie jede Blume welkt und jede Jugend

dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

 

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe

bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in andre, neue Bindungen zu geben.

 

Und jede Anfang wohnt ein Zauber inne,

der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

 

Wir sollten heiter Raum um Raum durchschreiten,

an keinem wie an einer Heimat hängen.

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

er will uns Stuf' um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise,

uns traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

mag lähmender Gewöhnung sich entraffen!

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...

 

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

 

 

______________________________

 

 

 

Antrittsrede 1994

 

von Nelson Mandela

 

 

"Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir der Sache nicht gewachsen sind.

Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich mächtig sind.

Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.

Wir fragen uns: "Wer bin ich den eigentlich,

dass ich leuchtend, hinreißend, begnadet und phantasisch sein darf?"

Wer bist Du denn, dass Du das nicht sein darfst?

Du bist ein Kind Gottes.

Wenn Du Dich klein machst, dient das nicht der Welt.

Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn Du Dich einkringelst,

damit andere um Dich herum sich nicht verunsichert fühlen.

Du wurdest geboren, um die Ehre Gottes zu verwirklichen, die in uns ist.

Sie ist nicht nur in einigen von uns - sie ist in jedem Menschen.

Und wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst den anderen

Menschen die Erlaubnis dasselbe zu tun.

Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart

ohne unser Zutun andere befreien."



Ein Fluß

Ein Fluß ist voller Perlen

die allesamt auf Erden

den großen Strom erst bilden.

 

Und Tage sind wir Perlen

wenn uns geschenkt sie werden

das eig´ne Dasein schaffen.

 

So sei niemals betrübt

wenn Zeit uns übersiegt

und wir stets vorwärts treiben.

 

Ist doch des Lebens Ruf

durch jede Perle Lauf

den großen Strom zu finden.